Architekten-Planwerk
Dipl.Ing.Dipl.Naut. Ulrich Kopp
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Die Schiffsmetapher in der Moderne

Die Schiffsmetapher in der ModerneHerr Kopp, in unserem Gespräch vom 9. August äußerten Sie, daß innovative Großprojekte mehr vom Charakter eines Schiffes und ein Eigenleben wie eine Maschine hätten, wenn man ihren Energie- und Wartungsbedarf und ihre vergleichsweise geringe Lebensdauer betrachtet.

Die Vorkämpfer der architektonischen Moderne bezogen sich bekanntlich häufig auf die Formensprache der Hochseeschiffe. Damit sollte illustriert werden, wie eine Architektur auszusehen hat, die von allem dekorativen Ballast befreit wurde. Unter dem Begriff 'International Style' wurden dann diese Vorbilder in die ganze Welt exportiert. Gibt es heute noch gültige Prinzipien der Schiffsarchitektur und was ist daraus geworden?


Die Schiffsmetapher, wie Sie sagen, das war schon immer ein Mythos, der die Moderne von Anfang an begleitet hat. Denn es gibt wohl kein komplexes, von Menschenhand geschaffenes Gebilde, bei dem das Prinzip, daß sich die Form aus der Funktion entwickeln muß, so konsequent umgesetzt wurde. Das war aber auch im Schiffbau nicht immer so. Die Vollendung der funktionellen Form hat sich erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit den sogenannten schnellen Teeklippern aus England und Nordamerika ergeben. Mit ihnen hat die Welt zum ersten Mal die Ästhetik der reinen Form erfahren. Etwa zur gleichen Zeit hat sich auch ein neuer Typ des sogenannten Schoners entwickelt, praktisch der Vorläufer der heutigen Rennyachten. Der Schoner stellte sozusagen das Nonplusultra des modernen Schiffbaus dar.

Die Erbauer dieser Schiffe haben als erste verstanden, daß Schönheit und Funktionalität zusammen gehören und daß das eine das andere bedingt. Und in der Tat, es gibt wohl keinen ästhetischeren Anblick, als den einer unter vollen Segeln stehenden Schoneryacht. Und das Prinzip, welches hinter diesem Phänomen steht, ist kein geringeres als das Schöpfungsprinzip.

Einer der ersten Architekten, der von diesen Zusammenhängen gesprochen hat, war der Wiener Adolf Loos. In einem Zeitungsartikel 'Ornament und Verbrechen', hat er schon 1908 die Forderung nach der schnörkellosen, funktionellen Form erhoben. Allerdings hat er in seinen Bauten noch nicht völlig auf das Ornament verzichtet.

Die erstmalige Forderung nach dem berühmten Prinzip 'FFF', also 'form follows function', zu deutsch: 'Form folgt Funktion', wird Frank Lloyd Wright zugeschrieben. Bei der Entwicklung seines damals völlig neuartigen Landhaustyps hat er wahrscheinlich Anleihe genommen aus dem traditionellen japanischen Holz-oder Papierhaus, dessen Maßverhältnisse sich aus einer Schlafmatte, der 'Tatami', ergeben. Die Schlafmatte war also das Maß aller Dinge!

Für mich besteht kein Zweifel, daß das traditionelle Japanhaus und der moderne Schiffbau die geistigen Väter des neuen Wohnens, des neuen Bauens überhaupt waren.

Soweit mir bekannt ist, hat sich zuerst Corbusier konsequent auf das Schiffbauprinzip bezogen. Er hat dieses Phänomen wohl am meisten durchdacht. Unter einem Schiff verstand er aber das Maschinenschiff. Folgerichtig entstand daraus auch das Prinzip der Wohnmaschine. Aber auch bei der Entwicklung seines Modulor, des Versuchs eines auf den Menschen bezogenen Maßsystems für das Neue Bauen, hat er sich auf den Schiffbau berufen. Und natürlich bei der Entwicklung des Skelettbaus, des freitragenden offenen Hauses ("Dom-ino") dürfte der Schiffbau sein Vorbild gewesen sein. Denn fast alle Schiffstypen, seit dem Einbaum, waren im Prinzip Skelettbauten. Sie bestanden aus einem Rückgrat, dem Kiel sowie Spanten und Stringern, über die eine Außenhaut - ob aus Fell, Holz oder Stahl - gezogen wurde und dem Deck. Die Aufbauten kamen erst später dazu. Erst in neuerer Zeit ist man in der Lage, selbsttragende Schalenkörper für kleinere Schiffskörper, beispielsweise aus Kunststoff oder Beton zu bauen, die auf ein Skelett verzichten können.

Seit dieser Zeit hat es wohl keinen Architekten der Klassischen Moderne gegeben, dem diese Zusammenhänge nicht bekannt gewesen wären und der sich nicht irgendwie darauf bezogen hätte.

Was führte dazu, daß man die Schiffsmetapher in der heutigen Architektur viel seltener antrifft, und was ist überhaupt davon übrig geblieben?

Es ist eine Tatsache, daß mit dem Ende des 2. Weltkrieges eine neue Zeitrechnung begonnen hat. Und mit ihr hat es auch einen Paradigmenwechsel gegeben. Die neuen Denkmuster haben nicht nur im Bauen, aber gerade auch dort, zu großen Verwirrungen und Verwerfungen geführt. Man hat nach dem Krieg das Neue Bauen zwar nicht in Frage gestellt. Was aber darunter zu verstehen sei, darüber gehen die Meinungen auseinander. Während man uns früher 'FFF', also 'Form-folgt-Funktion', als obersten Grundsatz des Entwerfens gepredigt hat, scheint dies heute kaum jemand zu interessieren. Die Entwicklung der 'großen' Architektur geht, auf der einen Seite, schon seit einigen Jahrzehnten, in die Richtung der begehbaren Skulpturen. Einer der Väter dieser Entwicklung dürfte mal wieder Corbusier gewesen sein.

Der Star-Architekt von heute fühlt sich zunehmend als Skulpteur. Ein Baukörper, dessen Gestalt sich nur seiner vorgesehenen Nutzung unterwirft, das scheint ihm zu banal. Er will von innen, wie von außen, neue Welten schaffen, die sich von ihrer bestehenden Umgebung spektakulär unterscheiden. Die Frage nach dem Genius Loci, dem Geist eines Ortes, oder womöglich nach der Prädestination eines Ortes, nachdem sich das neue Bauwerk auszurichten hat, im Sinne Heideggers (das ist ein schwäbischer Philosoph der Existentialphilosophie, der sich mit solchen Dingen befaßt hat) das ist uns heute ganz fremd. Der eigentliche Zweck eines Baukörpers, seine eigentliche Funktion, ist oft Nebensache.

Architektur als Inszenierung eines Kunstevents?

Das kann man schon so sagen, denke ich. Große Architektur nähert sich heute mehr und mehr dem Prinzip l'art pour l'art. Kunst um der Kunst willen, etwas, das es in der Architektur eigentlich nicht geben kann, weil sie zunächt ja ihren eigentlichen Auftrag, nämlich Räume zu schaffen, erfüllen muß, was die Auffassung der Architektur als Skulptur eigentlich von vorneherein ausschließt. Das Wesen der Baukunst und das Wesen der Kunst um der Kunst willen, sind grundsätzlich verschieden. In der großen Architektur von heute ist man aber zunehmend geneigt, das zu ignorieren.

Die andere Seite, das ist aber der sogenannte Zweckbau. Dazu gehören heute auch die Hochhäuser. Aber Hochhäuser sind von den Anforderungen her eher Ingenieurbauten. Der Gestaltungsspielraum für Architekten ist hier gering. Wesentliche Arbeiten werden von Fachplanern erledigt. Statiker, Fassadenkonstrukeure, Klima- und Energietechniker, Projektsteuerer, Ökonomen und letztlich die Geldgeber selbst bestimmen weitgehend den Baukörper. der Architekt avanciert, mit etwas Glück, zum künstlerischen Berater. Das mußte unlängst sogar einer der Stars der Szene, Libeskind, erfahren, als sein Siegerentwurf für 'ground zero' in New York, vom Bauherrn nicht entsprechend goutiert wurde.

In beiden Fällen ist, formal gesehen, von der Schiffsmetapher nichts geblieben, außer einigen Zitaten, der Schiffsreeling beispielsweise und der Stahlschiffstreppe oder dem berühmten Bullauge und den Materialien Stahl und Glas.

Beim Hochhaus und teilweise bei anderen Zweckbauten gilt, schon aus ökonomischen Gründen, immerhin noch das Form-folgt-Funktion Prinzip, wenn auch eingeschränkt, das Ganze muß sich ja rechnen. Außerdem verfügen heute größere Gebäude generell, eben wie bei einem Schiff, über ein von der Außenwelt mehr oder weniger autarkes Innenleben. Hier hat man sich der Wohnmaschine und dem Schiffsvorbild sehr genähert, mit allen positiven, aber auch negativen Konsequenzen.

Aber die Ästhetik ist eine andere. Sie hat mit dem Schiffsbau nichts mehr zu tun.

Durch Ihren früheren Beruf als Kapitän sind Sie mit Hochseeschiffen vertraut, und Sie haben in den 60er und 70er Jahren weltweit in Metropolen angelegt, die vom sogenannten International Style geprägt waren. Worin unterscheidet sich für Sie die heutige globale Architektur von dem, was in den Zwanzigern im Bauhaus und anderswo begonnen wurde?

Zwischen den Ideen der klassischen Moderne und dem heutigen International Style liegen Welten. Ein wesentlicher Unterschied scheint mir zu sein, daß die klassische Moderne noch etwas Originales, etwas Echtes war und mit vielen unterschiedlichen Ansätzen, die globale Architektur aber nur aufgesetzt scheint, eben nur ein Style ist. Und das Spektrum der Möglichkeiten bewegt sich heute im wesentlichen zwischen Zweck- oder Kommerzbau und einem neuen Formalismus. Alles nähert sich immer mehr einer Einheitsform, die beliebig austauschbar ist.

Es gibt zu wenig Ideen und zu wenig eigenständige Architekten-Charaktere. Alles rennt meist hinter irgendeinem Idol hinterher, mal war es Eiermann, mal Aalto, mal Scarpa. 20 Jahre lang hat man Behnisch kopiert, jetzt kopiert man moderne Skulpteure wie Libeskind, Gehry oder Hadid, oder irgendwelche Moden, beispielsweise die Postmoderne oder den Dekonstruktivismus. Jahrzehnte lang hat man dem Naturstein das Stigma des 'Ewig Gestrigen' auferlegt. Er galt als plump und deutschtümelnd. Plötzlich ist er wieder groß in Mode. Oder die Mode, Fassaden mit Holzleisten zu verkleiden - von einer klassischen Verschalung kann man ja hier nicht sprechen - oder man konstruiert kunstvolle Patchwork-Fassaden mittels horizontal und geschoßweise versetzter Anordnung von Fensterbändern. Zu den beliebten Szenarien der Moderne gehört derzeit auch die Schaffung von Raumeindrücken durch Lichteffekte. Lichtarchitektur. Geeignet nur für eine temporäre Nutzung, nämlich nachts. Ein Spiel mit Illusionen und Traumwelten. Aber wenn die Sonne aufgeht, ist's vorbei mit der Herrlichkeit.

Das alles ist funktional nicht oder nur bedingt zu begründen. Es ist, funktional betrachtet, oftmals sogar Unsinn. Es ist eben ein neuer Formalismus. Und die Intention, die dahinter steht, die Entwurfsidee, die kommt von alleine nicht rüber. Aber eine Architektur, die man erst begründen muß, das kann nichts Originales, nichts Echtes sein.

Echte Architektur braucht keine Begründung. Ihre Intention ist sofort einsichtig. Die Gerichtetheit einer Säulenkolonnade, einer Lindenallee, die Leere eines Platzes, oder die Bekrönung einer Bergkuppe mit einem Baukörper, wie dem Castell del Monte in Apulien, das duldet keine Diskussion. Jeder, der einmal mit einem solchen Phänomen konfrontiert wird, spürt instinktiv den Anspruch, der dahinter steht und akzeptiert sofort die Gegebenheiten.

Aber das gleiche gilt natürlich für die Wolkenkratzer-Schluchten in den Megametropolen, mit ihren quadratischen, endlosen Grundrißrastern. Auch hier steht ja eine planerische Absicht dahinter, der sich niemand entziehen kann. Sie wurde vor 200 jahren in Nordamerika angelegt, im Geiste der französischen Revolution und hatte nichts weniger zum Ziel, als die Schaffung des neuen Menschenbildes. Sogesehen sind die Skyscrapers durchaus auch 'echte' Architektur, vielleicht die einzige, die wir heute haben.

Und jetzt wird auch der Paradigmenwechsel deutlicher. Für die alten Baumeister, aber nicht nur für sie, war immer ganz klar, daß das Bauen immer ein Politikum ersten Ranges ist. Nach dem zweiten Weltkrieg hat man das traditionelle Bauen kurzerhand als Herrschafts-Architektur stigmatisiert und stattdessen, unter massivem öffentlichem Druck, den Gegenentwurf einer 'demokratischen' Architektur etabliert.

Wie sieht's denn eigentlich im modernen Schiffbau selbst aus?

Da sprechen Sie ein besonders trauriges Kapitel an. Noch bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein hat es den klassischen Schiffbau gegeben. das kann ich aus eigenem Erlebnis sagen. Aber schon in den 60er Jahren habe ich die ersten amerikanischen Container-Schiffe gesehen, und 1969 habe ich in den Semesterferien als Gerüstebauer bei der AG-Weser-Werft in Bremen, auf einem der ersten Großtanker gearbeitet. Die 'Esso-Scotia' war über 300 Meter lang und hatte 28 Meter hohe Tanks. Das waren selbst für uns Fahrensleute - damals - schwindelerregende Dimensionen.

Die Großtanker und die großen Bulcarrier - das sind Massenguttransporter - die wurden nach dem Suez-Krieg 1967 'notwendig', da der Seeweg nach Asien und Ostafrika für viele Jahre um das Kap der Guten Hoffnung herum führte, weil ja der Suez-Kanal blockiert war. Ich erinnere mich noch gut daran, daß wir als Fachleute den Kopf darüber geschüttelt haben, daß man das ungeheure Risiko eines Großtankers so bedenkenlos eingegangen ist. Die Welt wurde aber auf diese neue Gefahrendimension erst wirklich aufmerksam mit der spektakulären Haverie der 'Exxon-Valdez' vor der Küste Alaskas, vor etlichen Jahren. Inzwischen vergeht kein Jahr, in dem es nicht derartige Unfälle gäbe. Erst dieser Tage ist wieder ein Großtanker, wiederum vor der Küste Alaskas auf Grund gelaufen und droht zu zerbrechen. Aber darüber regen sich - außer den direkt Betroffenen -höchstens noch ein paar unverbesserliche Idealisten auf.

Was sind denn die eigentlichen Gründe für diese Riesenschiffe?

Im Prinzip die gleichen wie sie in der Architektur gelten. In die Ästhetik des Schiffbaus ist eben heute ein neuer Aspekt gekommen, der alles andere dominiert: Das unbedingte Erfordernis der Wirtschaftlichkeit. Schiffe werden heute nur für eine kurze Lebensdauer gebaut, dann werden sie abgeschrieben. Noch in der 60er und 70er Jahren konnten die sogenannten Tankerkönige Onassis und Niarchos ein ungeheures Vermögen mit ausgemusterten Tankern machen. Diese Schiffe waren fast alle ein Sicherheitsrisiko, weil sie nahezu keinem Sicherheitsstandard entsprachen. Aber das hat damals niemanden gestört.

Zweckmäßig im Schiffbau ist heute nicht nur, was seinen Zweck erfüllt, sondern vor allem was sich rechnet. Zudem ist es durch eine innovative Verarbeitung des Baumaterials Stahl, aber auch durch die leistungsfähigen Schiffsantriebe möglich, sich immer mehr von den Gegebenheiten der Naturelemente, also Wasser und Luft, respektive Wind, abzukoppeln. Man würde auch bedenkenlos noch größere Schiffe bauen, wenn es die internationale Infrastruktur für Schiffe, das heißt die Häfen und die Küstengewässer, zulassen würde.

Dieser Tage habe ich den Zeitungsbericht über ein neues italienisches Passagierschiff gelesen. Passagierschiffe werden heute eingesetzt für Kreuzfahrten und für den Fährdienst. Dort macht sich das Wirtschaftlichkeitsdenken noch drastischer bemerkbar. Die italienische Passagierschiffsflotte war einst wegen ihrer schönen Schiffe weltberühmt. Beispielsweise die 'Michelangelo' und die 'Raffaelo' der 70er Jahre, das war sozusagen die Krönung der extravaganten Schiffsform. Aber das, was wir jetzt haben, mit den neuen Kreuzfahrtschiffen, beispielweise mit der neuen italienischen 'Magica', das sind unförmige, proportionslose Ungetüme aus Stahl, die sich immer mehr der kubischen Containerform annähern. Man fragt sich, warum nicht auch der Schiffsrumpf ein Pontonkörper ist, wie bei einem Schubschlepper oder einer Fähre. Das wäre konsequenter und billiger. Bei den Passagierschiffen besteht übrigens das Risiko bei einer eventuellen Havarie natürlich weniger im Austreten großer Ölmengen, sondern eher darin, wie man tausende von Menschen im Notfall retten will. Die gängigen Strategien hierfür sind alle graue Theorie. Für die Praxis taugen sie nur bedingt.

Heißt das, daß die einstige Vorbildfunktion des Schiffbaus für das moderne Bauen nicht mehr gilt?

Für die Architektur ist der Schiffbau heute kein Vorbild mehr. Mit einer Ausnahme, und das sind die modernen Rennyachten. Hier gilt das Prinzip der Ästhetik nach wie vor. Wer sich aber mit dem Bau von Rennyachten näher beschäftigt, der wird bald feststellen, daß sich am Prinzip dieser Schiffsform wenig, beziehungsweise nahezu nichts, gegenüber den Schonern vor 150 Jahren geändert hat. Das aber ist doch genau das, was auch in der Architektur gilt.

Die optimale Gebäudeform, um den Erfordernissen der Natur gerecht zu werden, sie ist seit Jahrhunderten bekannt. Beispielsweise bei einem Schwarzwald-Bauernhof. Wir sollten uns nicht einbilden, daß wir hier etwas wirklich Neues erfinden könnten. Das, was wir heute als Innovationen im Bauen feiern ist ja, wie schon gesagt, nur durch den ungeheuren Einsatz fossiler Energien möglich geworden. Im Zeitalter der immer knapper werdenden Energien sollte man aber darüber nachdenken, ob das derzeitige Verständnis des Begriffs 'Innovation' nicht längst veraltet ist, weil es möglicherweise für die Gesellschaft ein Sicherheitsrisiko darstellt.

Wieso?

Gute Frage, wieso? Selbst beim Einsatz alternativen Energien im Bau, Stichwort 'Niedrigenergiehaus', beziehungsweise 'Dreiliterhaus' oder gar 'Nullenergiehaus', lügt man sich im Grunde in die Tasche, indem man sich um das eigentliche Problem herumdrückt. Nach EnEV, das ist die neue Energieeinsparverordnung, müssen die Häuser praktisch hermetisch von der Umwelt abgeriegelt werden, wie bei einem Maschinenschiff eben. Aber ein modernes Schiff ist heute erstens voll klimatisiert und zweitens erzeugt es die dafür erforderliche Energie selbst, mit eigenen Generatoren. Und diese Generatoren werden natürlich mit Dieselöl angetrieben. Wenn man also in einem solchen 'Nullenergiehaus' für ein einigermaßen verträgliches Raumklima sorgen will, so ist man aber, wie auf einem Schiff, auf eine eigene - energieaufwendige -Klimaanlage angewiesen. Daß dies gegenüber dem eigentlichen Vorhaben, nämlich Energieeinsparung, kontraproduktiv ist, ist wohl jedem klar. Daß das Leben in künstlich klimatisierten Räumen auf die Dauer ungesund ist, das ist noch eine ganz andere Frage.

Die Behauptung, daß man auch in einem modernen - vollklimatisierten - Glashaus 'eins' sein könne mit der Natur, wie ich unlängst von dem Stuttgarter Professor Sobek gelesen habe, sie ist einfach eine Illusion. Das Gegenteil ist der Fall. Und das Ziel 'Kapselung bei gleichzeitiger Entkapselung' ist doch widersinnig, ein intellektuelles Wortspiel. Man müßte die Bewohner der Glashäuser einmal fragen, was sie unter dem 'Einssein mit der Natur' verstehen. Im abgekapselten Glashaus kann die Natur doch bestenfalls als Panoramakulisse dienen, sozusagen eine Art virtuelle 3D-Natur. Einssein mit der Natur, das heißt aber, nach meinem Verständnis, etwas ganz anderes, nämlich etwas mit allen Sinnen Erfahrbares. Es heißt mit der Natur zu leben.

In einer der letzten 'Spiegel'-Ausgaben wurde, übrigens mit großem Aufmacher, zu ersten Mal zugegeben, daß moderne Glashäuser, auch jene mit 'intelligenten' und 'innovativen' Fassaden, gewaltige Energieschleudern sind. Hier tickt weltweit eine Zeitbombe.

Dabei kann doch auch hier nur das Naheliegende das Richtige sein. Das Naheliegende ist in diesem Fall die Rückbesinnung auf das Wesentliche, nämlich das Bauen mit der Umwelt und nicht gegen sie. Das Bauen mit der Umwelt hat man aber aber auch hierzulande verstanden. Die entscheidende Frage im modernen Bauen wird daher sein, wie wir das traditionelle Bauwissen mit dem technischen Wissen unserer Zeit verbinden können. Wir können es uns in der Zukunft nicht mehr leisten, das große Wissenspotential des traditionellen Bauens einfach brach liegen zu lassen. Die Beantwortung dieser Frage gehört für mich zu den großen Herausforderungen unserer Zeit.